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Domenico Martinelli und seine Tätigkeit für Österreich.

Von Hans Tietze.

I. Martinellis Biographie.

Wer ist der in unserer Literatur fortwährend als großer Wiener Architekt angeführte
Martinelli? Diese von Ilg in seiner großen Fischer-von-Erlach-Monographie (S. 327) auf-
geworfene Frage ist bislang unbeantwortet geblieben; seine eigenen Ausführungen haben
mit ihrer verworrenen Notizenfülle das über dem Künstler schwebende Dunkel nicht gelichtet.
Er bildete nach wie vor mit dem älteren Fischer und mit Hildebrandt eine Art Triumvirat,
obwohl er gegenüber der reichen Menge ihrer Leistungen wie mit leeren Händen kam und
neben diesen beiden leuchtenden Regenten der Wiener Barockarchitektur ein unsicher
schillernder Komet war. Nur auf seinen Anteil an den beiden Liechtenstein-Palästen konnte
Martinelli diesen Anspruch stützen; aber wie zweifelhaft erschien selbst dieser Anteil, wie
strittig der einzig faßbare Ruhmestitel des Meisters!

Bei der kunstgeschichtlichen Würdigung Martinellis ist merkwürdigerweise eine Quelle
allerersten Ranges übersehen worden: eine Biographie, die allerdings erst 1772, also geraume
Zeit nach seinem Tode, in Lucca erschien, deren Verfasser P. Giambattista Franceschini
aber aus Martinellis reichem Nachlaß an Briefen und Zeichnungen schöpfte und daher vollen
Glauben verdient. Von diesem der bisherigen Literatur über Martinelli unbekannt gebliebenen
Buche: Memorie della vita di Domenico Martinelli, Sacerdote Luechese e insigne Architetto.
In Lucca 1772, gelangte ein Exemplar mit der Bibliothek Carl König 1917 in Wien zur
Versteigerung; es wurde von Seiner Durchlaucht dem regierenden Fürsten Johann von und
zu Liechtenstein für seine Bibliothek erworben und in gewohnter Munifizenz dem Verfasser
dieses Aufsatzes zwecks wissenschaftlicher Ausbeutung zur Verfügung gestellt. Mein ergebener
Dank für diese neuerliche Förderung meiner Bemühungen um die österreichische Kunst-
geschichte möchte durch die sich aus ihnen ergebende Erkenntnis an Wert gewinnen, daß
des Fürsten hoher Ahnherr, Fürst Johann Adam Andreas, der Mäcen Martinellis, auch in
diesem Fall nachdrücklich und bedeutungsvoll in die heimische Kunstentwicklung eingegriffen
und einem Meister von Wert Gelegenheit zum Schaffen geboten hat. Denn wie so häufig- hat
auch hier der Instinkt der Überlieferung gegenüber kritischen Zweifeln recht behalten;
Martinelli ist der große „Dritte“, durch den sich das Bild unseres Hochbarock erst zu vollem
Reichtum rundet.

Domenico Martinelli ist am 30. November 1650 in Lucca „von armen, aber ehrlichen
Eltern geboren“1). Sein Vater Paolino war ein tüchtiger Geometer und in seinem Fach

*) Eine Überprüfung der Angaben Franceschinis in sich bei wichtigen Daten ohnedies auf bestimmte Doku-
italienischen Archiven ist unmöglich gewesen; die Bio- mente beruft. Eine Kritik wird erst bei der Erörterung der
grapbie folgt daher im wesentlichen seiner Darstellung, die Werke Martinellis einzusetzen haben.

Jahrbuch des kunsthist. Institutes des deutschösterreichischen Staatsdenkmalamtes 1919.

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